Die Geschichte des Brettchenwebens

Das Brettchenweben ist eine sehr alte Handwerkstechnik, die im vorderen Orient, Afrika, Südamerika und Asien noch heute ausgeübt wird. Man kann mit dieser Technik sehr feste Bänder von einigen Millimetern bis zu ca. 30 cm Breite herstellen. Diese Bänder werden als Stoßkanten von Bekleidung, als Gürtel, als Pferdezaumzeug, als Hundeleinen und noch zu vielem anderen verwendet.

Die Geschichte des Brettchenwebens in Europa

Der Fund eines Knochenbrettchens aus einer jungbronzezeitlichen Schicht bei Göttingen ist nicht unbedingt ein Indiz, dass die Brettchenweberei bereits in der Bronzezeit beherrscht wurde. Einzelne Brettchen können auch zum Verdrehen von Schnüren genutzt werden. Das quadratische Brettchen hat vier Löcher und eine Seitenlänge von 3,5 cm.

Bei einigen Techniken ist es nahezu unmöglich, die Gewebestruktur von Brettchengeweben, von den Strukturen normaler ‚Gewebe' zu unterscheiden. Lange Zeit wurde der Ramsesgürtel - aus dem 12.Jhd.v.Chr – für ein Brettchengewebe gehalten. Inzwischen gibt es genügend Beweise, dass es kein Brettchengewebe war (siehe auch Peter Collingwood: The techniques of tablet weaving).

Ich persönlich bin der Meinung, dass die Ägypter das Brettchenweben nicht beherrschten. In Ägypten wurden bei Ausgrabungen weder Zubehör zum Brettchenweben gefunden, noch ist auf den Wandmalereien die Herstellung eines Brettchengewebes oder ähnliches abgebildet.

Das älteste europäische Brettchengewebe stammt aus einem Grab der villanovazeitlichen Nekropole Sasso di Fubara in Italien aus dem 8.Jhd.v.Chr. Ein schmales Band mit fünf verschiedenen Musterzonen in Längsrichtung, die von Zonen mit einfachen Brettchenschnüren begrenzt werden. Die äußersten Brettchenschnüre sind rot, die innenliegenden braun. Laut Untersuchungen von Furabara Masurel, die er 1992 veröffentlichte, wurden dreieckige Brettchen verwendet. Das Muster wird durch Kett- und Schussfäden gebildet. Die Schussfäden erscheinen so an der Oberfläche, dass sie ein Motiv bilden.

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In einem Grab aus El Cigarralejo in Spanien wurde am Anfang des 4.Jh. v.Chr. neben einer Anfangskante in Brettchenweberei auch Brettchen aus Buchsbaumholz gefunden. Ihre Kantenlänge beträgt 3,0 bzw. 3,5 cm und sie haben 4 Löcher. (Zeichnung aus Hundt, El Cigarralejo, S. 192 Abb. 5)

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Gab es in Griechenland Brettchengewebe?

Bisher gibt es keine Funde, die dies belegen können. Aber einige Wandbilder um 1500 v.Chr stimmen nachdenklich. Sie stammen von der Insel Thera. Die Stadt Akrotiri wurde um 1500 v.Chr während bei einem gewaltigen Vulkanausbruch von einer dicken Asche- und Bimssteinschicht begraben. Bei Ausgrabungen wurden in vielen Häusern Wandmalereien freigelegt, zum Teil mit großformatigen Frauenbildern. In Anastasia Pekridou-Gorecki Buch ‚Mode im antiken Griechenland' sind einige dieser Wandmalereien abgebildet worden. Und die Schulterverzierungen ähneln auffallend brettchengewebten Borten.

 

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Aisling Hochdorf1.45 04Besonders reichhaltig mit brettchengewebten Bändern ist das Grab des Keltenfürsten von Hochdorf (ca. 520 v Chr) ausgestattet gewesen.
In diesem Grab sind ungewöhnlich viele Stofffunde erhalten geblieben. Die Borten sind - nach den Pigmentfunden zu urteilen - in rot und blau hergestellt worden. Nach aktuellen Erkenntnissen waren die Kettfäden der Borten sowohl aus Pflanzenfasern (Hanfbast) als auch aus tierischen Fasern (feine Grundwolle des Dachsfells) hergestellt, wahrscheinlich wurde für jede Farbe ein anderes Material verwendet. Es wird vermutet, dass das unterschiedliche Material das Muster noch stärker hervorheben sollte. Ungewöhnlich ist auch, dass bei einigen Borten pro Brettchen nur zwei Kettfäden verwendet wurden.

Die Brettchengewebe zeigen geometrische Motive, wie gegenläufige Diagonalstrukturen, Winkelhaken, komplexere Mäandermotive, Zinnenmäanderrauten, Flechtband und bevorzugt Sonnenmotive, die zumeist von einer Raute begrenzt sind.

Die Anordnung der Motive ist unterschiedlich und zeigt nebeneinander angeordnete oder einzelne Zonen mit gereihten Motiven, die sich in regelmäßiger Abfolge wiederholen und gereihte Einzelmotive ohne randliche Begrenzung oder Musterteile in lockerer Anordnung. Die Motive lassen im starken Maße die Übernahme von Mustern aus dem Süden erkennen.

Es gibt Vermutungen, dass ein Teil der Bänder etruskische Importarbeiten sind.

Erstaunlich sind die verschiedenen Webtechniken, die hier verwendet wurden. Sowohl Flottierungen, Köpertechnik und auch die Technik des Webens mit zwei Fäden pro Brettchen gibt es hier.

 

 

In den griechisch-römischen Gebieten wurden in späterer Zeit jedoch nur wenige Funde von Brettchengewebe gemacht. Die bisherigen Funde stammen größtenteils aus punischen Gräbern bzw. aus den römischen Grenzprovinzen in Germanien und Gallien. So fand man z.B. im 2. Jh. v.Chr. viereckige Brettchen mit vier Löchern in Dejbjerg bei Jütland. Die Kantenlänge der Brettchen beträgt 4,75 x 5,5 cm und sie sind 3 mm dick.

Gewichtswebstuhl

Häufig wurden in der damaligen Zeit die Brettchengewebe direkt mit dem Stoff verwoben. Dadurch hatte man eine sehr feste Webkante. Vereinfacht wurde dieses Verfahren durch den in der damaligen Zeit gebräuchlichen Gewichtswebstuhl, mit dem nicht nur Stoffe in den unterschiedlichsten Bindungen gewebt wurden (z.B. Leinwand und Köperbindung) Er machte auch das Arbeiten mit diesen zwei unterschiedlichen Websystemen erst möglich. Auf diesen Webstühlen wurde von oben nach unten gewebt. Bei dieser Technik ist es möglich alle vier Webkanten des Stoffes mit einer Borte zu versehen. (Das Foto ist beim Römerfest in Xanten im Jahr 2001 entstanden. Leider kenne ich die Besitzerin des Webstuhles nicht)

 

 

Thorsberg

Der Thorsberger Mantel aus dem 3.Jhd. n.Chr ist wohl das bekannteste Beispiel dieser Technik. Dieser Mantel hatte eine rechteckige Form von 168 cm Breite und 263 cm Länge gehabt. Er ist an allen vier Seiten mit Brettchengewebe eingefaßt. Die einzelnen Brettchen wurden mit der gleichen Farbe aufgezogen. Das Muster der Borte waren Längsstreifen. Die Anfangskante wurde mit 9 Brettchen gewebt. Die beiden Seitenkanten haben eine 17,8 cm breite Borte, die mit 178 Brettchen gewebt wurden. Die Borte der Abschlußkante besteht aus 138 Brettchen und ist 14 cm breit. Der Mittelteil des Wollstoffes in Köperbindung ist durch seine Kett- und Schussfäden vollständig mit den Brettchengewebe an allen Rändern verbunden. Das Spinnmaterial für die Brettchenweberei fällt durch eine außergewöhnliche Glätte und Feinheit der Fäden auf, die nur 0,2 – 0,3 mm stark sind und gezwirnt die Stärke von 0,5 mm nicht überschreiten. Karl Schlabow vermutete, dass für die Herstellung dieses Mantels zwei Weberinnen vermutlich ein Jahr benötigten. Ich persönlich bezweifle die Zeitangabe.

Nur der Mantel aus dem Vehnemoor aus dem 2. Jhd. hat eine ähnlich prächtige Borte aus Brettchengewebe. Andere aus diesem Zeitraum gefundenen Mäntel hatten schmalere Brettchengewebe mit max. 27 Brettchen.

 

 

bathilde

Als in Chelles die Gräber der Heiligen Bathilde (gestorben ca. 680) und der Heiligen Bertille (gestorben ca. 704) geöffnet wurden, fanden sich dort viele brettchengewebte Borten. So war z.B. die Ärmel der Tunika der Bertille mit brettchengewebter Borte verziert worden. Leider liegen noch keine Farbanalysen vor.

Farbpigmente verändern sich im Laufe der Jahrhunderte, so dass man über die ursprünglichen Farben nur spekulieren kann.

Ich habe die Borte des Ärmels in rot und weiß nachgewebt. Im Original hat diese Borte noch mehr Randbrettchen. Die sieben Brettchen des Musterteils sind nur mit je 2 Fäden aufgezogen, wogegen die Randbrettchen mit 4 Fäden bezogen sind.

chelles01In dem Grab der heiligen Bathilde gab es auch ein Band von 1,8 cm breite, von den vier Fragmenten erhalten waren (insgesamt 125 cm lang). Das Band zeigt eine Reihe von insgesamt 23 geometrischen Mustern. Teilweise unterscheiden sie sich nur durch die Unterschiedliche Farbwahl. Obwohl das Band eindeutig der Bathilde zugeordnet werden konnte, ist der Verwendungszweck unbekannt. Der Musterteil besteht aus 40 Brettchen und ist in Flottierungstechnik gewebt.

chelles02Bei einem weiteres Band aus dem Grab - 4 cm breit - sind wahrscheinlich nur die angenähten Randmotive (Bodüren) brettchengewebt. Das Hauptmuster zeigt ein geometrisches Dekor von extremer Feinheit, welches in einer kurzen Folge 5 Motiven stilisiert: vier Tiere und eine geometrische Abtrennung. Die Tiere werden im Verlauf des Bandes nicht einfach wiederholt, sie unterscheiden sich in den Details. Zusätzlich wurde diese Borte auch noch bestickt. Man kann diese Motive auch als Brettchengewebe nacharbeiten.

Die Brettchen von den Bodüren sind dann mit je zwei Fäden aufgezogen, wogegen die restlichen Brettchen mit je 4 Fäden bezogen sind.

 

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In Oseberg/Oslofjord wurde 1904 das Grab der norwegischen Königin Asa von Vestfold unter einem Grabhügel in erstaunlich gutem Zustand entdeckt. Der Leichnam der Königin, ihrer Dienerin und kostbarer Hausrat wurden auf Deck eines Wikingerschiffes ausgegraben. Unter anderem wurde eine komplett aufgezogene Kette mit 52 Brettchen gefunden. Ein Zeugnis, dass die Brettchenweberei zu dieser Zeit in allen Volksschichten verbreitet war. Es ist der bisher einzige Fund einer komplett aufgezogenen Webkette.

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Im Frühmittelalter stand das Brettchenweben im gesamten europäischen Raum in hoher Blüte. Durch die Erschließung neuer Handelswege - angeregt durch Karl dem Großen - kam Ende des 8.Jhd. die Seide in größeren Mengen nach Europa. Bei der Brettchenweberei wurde nun zusätzlich zu den bisher verwendeten Woll- und Leinenfasern Seide verwendet. Häufig wurden nun um Seiden- oder Leinengarne gesponnene Gold- und Silberfäden (sog. Gold- und Silberlahn) verwendet. Diese wurden allerdings nicht nur als Kettfäden aufgezogen, sondern wurden auch als zusätzliche Schußfäden, die das Muster bilden, benutzt (die Broschiertechnik). Dadurch wirkten diese Borten viel prunkvoller.
Die abgebildete Borte des Gürtels ist der Borte aus der Kirche 'Unserer Lieben Frau' Hemelvaart, St. Truiden, Belgien nachempfunden. Als Broschierfaden wurde Goldlahn und Seide (rot und weiß) verwendet.

 

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Schmuckbänder in großer Anzahl benötigte das sich ab dem 8. Jh. in Zentraleuropa ausbreitende Christentum.

An vielen liturgischen Gewändern sind Brettchengewebe angebracht worden. Oft sind sie nur für die innere Saumverstärkung oder als Halsbünde verwendet worden. Bei der priesterlichen Kultgewandung treten sie jedoch auch als Schmuckborten an Cingulen, Manipeln, Stolen und Mitren auf. Häufig sind in diesen Bändern Widmungsinschriften und liturgische Texte eingewebt. Andere zeigen verschiedenartige Ornamentmotive, Tierfiguren, Fabelwesen, geflochtenes Bandwerk, pflanzliche Ranken und geometrische Strukturmuster auf.

Gleichzeitig wurden Brettchenwebereien für Schmuck- und Gebrauchszwecke von Angehörigen aller Stände verwendet. Aber nur die prunkvollen Borten, die sorgfältig aufbewahrt wurden, sind bis in die heutige Zeit erhalten geblieben.

Hier eine Rekonstruktion des Manipel von St. Ulrich (Augsburg) aus dem 10. Jhd. n.Chr. Heidi Stolte hat das Muster anhand des Originals neu entwickelt und nachgewebt. Diese Bote vereinigt mehrere Techniken: Köpertechnik mit Umklappen der Brettchen und Broschiertechnik. Zusätzlich wurden einige Stellen noch mit einem blauen Faden bestickt. Das Original konnte man 2001 und 2002 in der Wanderausstellung ‚Europas Mitte um 1000' bewundern. (Die Fotos entstand im Sommer 2001 bei der Brettchenwebausstellung in Breda)

 

 

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Eine der bekanntesten zeitgenössischen Abbildungen über Brettchenweberei stammt aus der Großen Heidelberger Liederhandschrift (besser bekannt als Codex Manesse) auf der Tafel 94 Rost, Kirchherr zu Sarnen. Diese Abbildung ist jedoch sehr verwirrend gezeichnet.

Ich persönlich vermute, dass dem Nachtragsmaler verschiedene Bildvorlagen durcheinander geraten sind. Zudem wird der Maler bei Erstellung der Zeichnung keine direkte Abbildung einer Brettchenweberei vor Augen gehabt haben, bzw. nur eine Vorlage, die er nicht verstanden hat.
Besonders ungewöhnlich ist, dass sich der Webkamm zwischen Borte und den Sechslochbrettchen befindet. Mir ist keine Technik bekannt, in der eine Brettchenweberei in dieser Reihenfolge angeordnet ist, da es mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden ist, nach dem Drehen der Brettchen an dem Webkamm vorbeizugreifen um den Schuß mit dem Webschwert an die Borte anzuschlagen.

 

 

 

 

 

 

 

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Mit dem Abklingen der mittelalterlichen Kulturformen im 13. und 14. Jahrhundert wurden die aufwendigen und farbenprächtigen Webereien immer seltener. Die Brettchenwebereien wurden nur noch als einfarbige Grundgewebe von figürlichen Stickmustern und aufwendig gearbeiteten Metallverzierungen verwendet. Vielfach werden jetzt die Bänder mit sechsloch Technik gewebt, da durch diese Technik extrem stabile Bänder entstehen.

 

Mit dem Beginn der Neuzeit stirbt die Technik der Brettchenweberei in Mitteleuropa aus. Diese Webart wurde durch die mechanischen Webtechniken verdrängt.

Nur in Island, in Russland und auf dem Balkan erhielten sich Reste der Brettchenweberei bis ins 18. und 19. Jahrhundert, aber in Mitteleuropa war dieses Handwerk ausgestorben. Die Pracht des Mittelalters wurde nie wieder erreicht.

1896 rekonstruierte Magarethe Lehmann-Filhes für Zentraleuropa die Techniken des Brettchenwebens und veröffentlichte dies in ihrem Buch ‚Ueber Brettchenweben' 1901.

Seitdem erfreut sich die Brettchenweberei wachsender Beliebtheit.

Literatur:

Johanna Banck-Burgess, 1999: Hochdorf IV Die Textilfunde aus dem späthallstattzeitlichen Fürstengrab
Peter Collingwood 1982, 1996: The techniques of tablet weaving
Candace Crockett, 1994: Weben mit Brettchen
Ilse Fingerlin, 1971: Gürtel des hohen und späten Mittelalters
Marga und Heribert Joliet, 1975: Brettchenweben
Kulturamt der Stadt Hanau, 1994: Kleider machen Leute – Leute machen Kleider
Katharina von Kurzynski. 1996: Und ihre Hosen nennen sie bracas
Charlotte Lenz, 1976: Brettchenweben
Magarethe Lehmann-Filhes,1901: Ueber Brettchenweben
Anastasia Pekridou-Goricki, 1989 Mode im antiken Griechenland
Karl Schlabow, 1965: Der Thorsberger Prachtmantel
Nancy Spies, 2000: Eccleastical pomp & aristrocratic circumstance
Otfried Staudigel, 2000: Der Zauber des Brettchenwebens
F. Walter (Hrsg.) 1988: Codex Manesse Die Miniaturen der Großen Heidelberger Liederhandschrift
Experimentelle Archäologie im Museumsdorf Düppel, 1996
Tresors de Chelles: Sepultures et Reliques de la reine Bathilde et de l'abbesse Bertille
Margarita Gleba: Tracing textile cultures of Italy and Greece in the early first millennium BC, 2016